Vijñāna Bhairava Tantra (VBT)

Das Vijñāna Bhairava Tantra (VBT) ist das älteste bekannte schriftlich überlieferte und erhaltene Bhairava und Bhairavi - Vijñāna Bhairava Tantra (VBT)
Tantra. Es stammt etwa aus dem 8. Jh. unserer Zeitrechnung. Es gilt als gesichert, dass ihm andere tantrische Schriften vorausgegangen sind, wie das Rudramayāmala. 

Das VBT besteht aus 163 Versen und ist didaktisch aufgebaut. Es beruht auf einem Dialog Bhairavi's (der "Gemahlin" Śiva's, manchmal auch als Parvati bekannt) und Bhairava (einer der früheren Namen für Śiva), worin Bhairavi, die als Göttin bereits über alles im Bilde ist, ihren Gemahl um Antworten auf die grundlegenden Fragen des Seins bittet und uns auf diese Weise zeigt, wie wir die Dinge hinterfragen können oder sollten.

Die Antworten Bhairava's kulminieren in insgesamt 112 Lehren (sog. Yuktis), die etwa 111 Praktiken (Dharānas) beinhalten, welche diese Lehren erfahrbar machen.

Das Vijñāna Bhairava Tantra ist mehrfach in unterschiedlicher Tiefe und Präzision übersetzt und (auch schon in früheren Jahrhunderten) kommentiert worden. Die heute bekanntesten und durch Lehrer wie Osho und Daniel Odier verbreiteten Versionen reichen bei weitem nicht heran an die neuere, ausführliche Darlegung von Christopher Wallis, welche die Geschichte hinter all den Kommentaren und Interpretationen der Lehren und Praktiken (und manchmal auch deren Grenzen und gar die Grenzen seines eigenen Verständnisses) transparent werden lässt. Es kann sehr interessant sein, wenn auch für die effektive Praxis nicht unbedingt notwendig, sich diesbezüglich selbst ein wenig mit den entsprechenden Hintergründen und Diskursen zu beschäftigen.

Die komplette kommentierte Übersetzung findest du bei Christopher auf tantrailluminated.org.

Im VBT heißt es sinngemäß, wenn du auch nur eine dieser Praktiken vollständig realisierst, bist du in das Gewahrsein deiner göttlichen Wesensnatur eingetaucht und du benötigst keine weiteren Übungen. Gleichzeitig ist es der Sinn des Tantra Yoga, durch vielfältige und - scheinbar - verschiedenartige Übungen und Praktiken den Shift in der Wahrnehmung zu vertiefen und zu verstetigen (siehe auch Upāyas und Darśana, Bhavana 12). Und so wird es für die meisten von uns sinnvoll sein, eine Handvoll an Übungen für sich zu finden, die auf diesem Weg hilfreich sind und - durch gelegentliche Variation in der Auswahl der Praktiken - immer wieder hilfreiche Erfahrungen zu sich einzuladen, anstatt sich an irgendwelchen Yuktis (oder anderen tantrischen Praktiken) "festzuhalten". All diese Praktiken sind nicht mehr, als Finger, die auf den Mond zeigen, und gleichzeitig sind sie wundervoll und zeugen von dem tiefen Wissen, aus dem sie einst entstanden sind. Auch das Wieder-Aufgreifen bereits zuvor "verinnerlichter" (Verinnerlichung ist eine Illusion ;)) Praktiken lässt diese in neuem, segensreichen Licht erscheinen. 

In diesem Abschnitt unserer Seite findest du (als registrierte*r Nutzer*in) dementsprechend also einige ausgewählte Übungen aus dem Vijñāna Bhairava Tantra mit Anleitungs-Audiodateien dazu, die mit der Zeit um weitere Übungen ergänzt werden. Es handelt sich um Übungen zum Energiekörper (Kundalini), Übungen zum Yoga der Auflösung (Lāyā), der Leere (Śūnya) und Glückspraktiken (Ānanda). Und es macht Sinn, mit den ersten Yuktis zu beginnen, weil das VBT auch hier - wenn auch nicht völlig straff - in der Abfolge aufeinander aufbaut.

Machen wir uns immer klar, dass es auch im Vijñāna Bhairava Tantra nur darum geht, ins Gewahrsein dessen zu gelangen, was wir bereits sind. Es gibt also etwas zu entdecken, was so einfach und auch schon längst da ist! Und dennoch können wir die "höhere Mathematik" nicht ohne die Kenntnis der "Grundrechenarten" verstehen, die ihr innewohnen. 

Mehr Übungen findest du in englischer Sprache bei C. Wallis.

Noch eine Anmerkung: Daniel Odier hat mit seiner "Tandava"-Praxis ein Narrativ in der Neoantra-Szene geschaffen. Er beruft sich dabei auf Verse 83 und 111 des VBT. Dies ist nachweislich falsch, insofern nirgendwo im Originaltext des Vijñāna Bhairava Tantra der Begriff Tandava oder eine im Sinne dieser Praxis interpretierbare Aussage vorkommt, auch nicht in den o.g. Versen. Die in seinem Buch "Tantra Yoga..." aufgeführte Übersetzung ist also schlichtweg falsch, und allein dies könnte mit Blick auf die Popularität seines Buches hier eine Erwähnung wert sein.

Auch erscheint die Aussage D. Odiers, man benötige keine andere Methode als diese, recht verstiegen und würde der Fülle, Vielfalt und Didaktik des VBT sicherlich nicht gerecht.

Die Tandava-Methode beinhaltet, in neuem Licht betrachtet, dennoch mehrere Aspekte auch des VBT, insbesondere mit Blick auf die Erfahrung der Räumlichkeit. Auch dient sie effektiv der Auflösung von Samskāras und der Verdauung emotionaler Energie. Sie lässt sich gut sowohl allein, als auch in der Gruppe praktizieren, weshalb sie auch bei LebensArt Tantra angeboten wird. Sie ist jedoch nicht geeignet, um darauf eine neues Tantra à la Odier zu gründen.

Vijñāna Bhairava Tantra