Lasya Tandava - den Raum erfahren, der Du bist
Lasya Tandava ist eine von Daniel Odier so benannte Methode des Tantra Yoga und nicht zu verwechseln mit der im dualen Shivaismus praktizierten, weiblichen, langsamen Form des Tandava-Tanzes. Tandava ist nach traditionellem Verständnis der Tanz Śivas, aus dem (so die shivaitische Mythologie) das Universum hervorgegangen ist. Aus mythologischer Sicht gibt es unterschiedliche Versionen dieses Tanzes und seiner Hintergründe. So habe Parvati, die Königin des Himalaya, den in tiefer Meditation versunkenen Sadhu Śiva in seiner Höhle behelligt und ihn dazu verlockt und inspiriert, diesen Tanz in inniger Vereinigung mit ihr zu tanzen. Im heutigen Indien ist Tandava weitgehend als ein sehr kraftvoller, hüpfender Tanz bekannt, der mit beinahe sportlichem Impetus allein, oder, einer Choreographie folgend, in Gruppen praktiziert wird.
Die hier gemeinte Lasya Tandava Praxis lässt sich aus dem Vijñāna Bhairava Tantra ableiten (z.B. aus Yukti 17-22 oder 30-36; Daniel Odier beruft sich dabei jedoch scheinbar auf Yuktis 83 und 111) und dient der Erfahrung der offenen, weiten Räumlichkeit, die wir sind, die alles beinhaltet. Im Sinne des Mahāmudrā (siehe hierzu z.B. Osho) ist dieser Raum das vollkommene Gewahrsein der Bewusstheit.
Es am Ende nicht wirklich sinnvoll, anzunehmen, dass wir diesen Zustand durch ein bestimmtes ritualisiertes Vorgehen oder durch vorbereitende Bewegungsübungen herbeiführen könnten. Eindrückliche und umfangreiche Erläuterungen zu dieser Thematik finden sich v.a. bei Daniel Odier, siehe z.B. hier in einem seiner Vorträge. Was können wir also "tun", wenn nichts zielführendes getan werden kann und der Tanz, soll er denn gelingen, sich selbst tanzt?
Wir können uns der Hingabe öffnen an das, was bereits ist. Auch dies bedeutet ausdehnen. Es ist nicht notwendig, sich dafür anzustrengen. Wir können uns von allen Erwartungen befreien, die wir möglicherweise an die Praxis haben mögen. Wir können uns darauf besinnen, dass Liebe Ausdehnung ist und darüber hinaus ein willkommener Verweilzustand, den wir einladen, jedoch nicht im geringsten kontrollieren können. Wir können neugierig sein auf das Loslassen, indem wir uns von allem Festhalten befreien.
Für die Lasya Tandava Praxis ist es hilfreich, wenn wir ein wenig vertraut sind mit der Erfahrung innerer Räume (insbesondere mit dem Energiekörper und dem Lāya-Yoga, dem Yoga der Auflösung. Wohl nicht ganz zufällig gehen im Vijñāna Bhairava Tantra diese Übungen den Übungen voraus, die auf die Erfahrung von Räumlichkeit fokussieren), dem körperlichen Loslassen und mit der Achtsamkeitspraxis. Wenn wir also schon etwas schneller merken, in welcher Weise wir eigentlich festhalten, oder wenn wir zumindest ein starkes Interesse dafür aufbringen, dies zu bemerken oder mehr darüber heraus zu finden. Wenn wir erkennen, wie und woran wir festhalten, hören wir damit auf. Wir lassen Grenzen hinter uns, die jetzt keine mehr sind und erfahren stattdessen den Raum, der wir sind.
Lasya Tandava wird auch "der Yoga der Gefühle" genannt. Dies wird verständlich, wenn wir uns klar machen, dass wir alle Gefühle geschehen lassen und damit unseren Samskāras (tiefen Konditionierungen) begegnen, was auch immer sie auslösen mag. Wir machen uns damit vertraut und sind bereit, mit all diesen Gefühlen zu sein, ganz gleich, als wie machtvoll sie uns erscheinen. Wir werden intim mit der emotionalen Energie, anstatt die mit dieser Energie aufgeladenen Geschichten in unserem Gewahrsein als Objekte abzuspalten und zu bekämpfen. Und manchmal bemerken wir erst nach geraumer Zeit, dass wir da überhaupt an etwas festgehalten haben, uns vor irgendetwas meinten schützen zu müssen. Ebenso begegnen wir Gedanken, Konzepten und jedweden geistigen Gebilden, die wir dem unendlich weiten Raum überantworten, der all das beinhaltet. Wir erfahren Spanda, das kosmische Erschauern, wenn wir nichts Trennendes mehr legen zwischen uns und diesen Raum.
Die Lasya Tandava Meditation wird in 4 Phasen praktiziert
1. In Ruhe sitzen, den langsamen Atem sehr tief werden lassen, so tief wie möglich, bis hinein ins Becken und alle Energiezentren entlang. Durchlässig werden, nichts mehr festhalten mit dem Atem. Alles darf geschehen, was geschieht. Es kann sein, dass Becken und Wirbelsäule bereits jetzt auf natürliche Weise eine vielleicht nur angedeutete, minimale Bewegung dazu machen wollen.
2. Die Arme hinzunehmen, die mit langsamen Bewegungen den Atem begleiten und den Raum erkunden helfen. Die Bewegungen auf leichte Weise größer werden lassen.
3. Die stehende Position - der eigentliche Lasya Tandava-Tanz: Die Füße sind breitbasig fest mit dem Boden verbunden, die großen Körpergelenke unter einer leicht federnden Spannung, der QiGong-Grundhaltung nicht unähnlich. Mit großen, langsamen Bewegungen, die den tiefen Atem begleiten, den Raum erkunden, sich mit dem Raum verbinden, den Raum erfahren. Es geht dabei nicht darum, "möglichst langsam" zu sein, auch wenn diese Tandava-Meditation immer mal wieder als "extrem langsamer" Tanz beschrieben wird. Nichts kontrollieren, gar nichts. Sich stattdessen für vollkommene Hingabe entscheiden.
4. Stilles Sitzen im Gewahrsein.