Tantra, Kurs in Wundern, Dharma & Mahāmudrā - Pfade der Spiritualität 

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Tantra, ein spirituelles Denksystem, vor etwa 1500 Jahren hervorgegangen aus den Upaniśads, der Bhagavad-gita, den Yoga-Sūtras und dem Shivaismus, wird gern in etwa übersetzt mit "das Wesentliche ausdehnen und verweben" (sanskrit: tan = erweitern, ausbreiten, tra= Werkzeug, alternativ: tantra=Webstuhl. Insofern also verweben von 36 Tattvas = den Grundkategorien des Seins). Damit weist dieser Pfad der Spiritualität auf Weite, Ausdehnung und Ganzheit hin. Diese Konnotationen schwangen wohl auch noch im Sanskrit des 6. Jh. n.Chr. mit, als Tantra nur noch "Text" oder "Lehre" bedeutete. Es geht weit hinaus über das bestellte Terrain seiner spirituellen Vorläufer und kann als eine Art "Metaframe", als ein Rahmen für den Blick auf alles Seiende verstanden werden. Auch zeichnet es sich - neben anderem - durch einen gleichmütigen Blick auf Denkverbote aus.

Dies mag auch Anlass für die Hinwendung vieler Buddhisten hin zum aufkommenden Shivaismus und Tantrismus und für die Abkehr von der mönchischen Theravada-Tradition mit ihren 227 Vinayas (Verhaltensregeln) gewesen sein. Diese Vinayas fußten auf der Annahme, Erleuchtung setze ein auf Übung, Disziplin und Askese beruhendes Erlöschen des sinnlichen Genießens voraus, weil die Welt der Erscheinungen ohnehin nur illusionär und deshalb letztlich unbefriedigend sei. Es sei an dieser Stelle jedoch auch erwähnt, dass der Dharma des Buddha in dieser Hinsicht etwas anderes besagt als die meisten buddhistischen Traditionen, die dem viel später entstandenen Abhidhamma einen größeren Stellenwert beimessen und in gewisser Weise erst dadurch den Buddhismus zu einer Religion werden ließen (s. z.B. C. Titmuss: "The explicit Buddha"). Buddha war kein Buddhist. Er begründete einen ersten nondualen Pfad der Spiritualität.

Der tantrische Ansatz hingegen zeichnet sich auch durch das Gewahrwerden der schöpferischen Kraft des Wollens (icchā-śakti) und des Handelns (kriyā-śakti) als immanente Qualitäten der Bewusstheit selbst und, damit einhergehend, der vollkommenen Bejahung aller Aspekte unseres Seins, und damit auch unserer Verkörperlichung (Jīvanmukti). Dies wird in den meisten buddhistischen Traditionen als leidvolle Option verworfen. Gleichzeitig bejaht Tantra auch die Erfahrung der Intensität leidvoller Erlebniszustände, welche letztlich als Signaturen ein und derselben Energie betrachtet werden. Das Universum wird im Tantrismus als wirklich erachtet, lediglich Konzepte und Bedeutungen sind hier illusionär (wenngleich das Konzept und der Gedanke als Vibrationen in der Bewusstheit wirklich sind, ist ihr Inhalt insofern Illusion, als dass er keine innewohnende Bedeutung haben kann, die eine andere Signatur hat, als die Bewusstheit selbst). Der Buddha-Dharma hingegen trifft hierzu keinerlei Aussage. Er dekonstruiert die Wirklichkeit (letztlich bestehend in der Anhaftung an geistige Gebilde) in Daseinsformationen und Daseinsmerkmale ohne Wesenskern (Anatta). Ein "Selbst" ist hier nicht vorgesehen. Im Tantrismus wird auch das "Ich" als wirklich angesehen, als kontrahierte Form Gottes, dem alles innewohnt. Anders, als in Religionen und anderen dualistischen Denksystemen, spielt weder im Buddha-Dharma, noch im nondualen Tantrismus die Vorstellung individueller "Seelen" eine Rolle. Im Buddha-Dharma führt der Austritt aus dem Kreislauf des Leidens (Samsara) ins Nirvana (Nibbana), ins unbefeuerte Nichts, das im ewigen Frieden ruht.

Im Tantrismus ist die Bewusstheit das einzige Selbst, das größer ist, als die Summe aller Erfahrungen, und dessen Emanation das Universum ist (Śīva ≈ "das Zugrunde Liegende"). Hier kann man nicht aus etwas austreten, was man selbst "ist". Der Kurs in Wundern geht hier einen etwas anderen Weg: Wenngleich die Welt samt dem Ego, das sie projiziert, illusionär ist, ist das Selbst als "Gottes Sohn" wirklich. Der Aspekt der Hingabe an das Sein findet sich im Kurs ganz ähnlich dem nondualen Tantrismus.

Tantra, Tibetischer Buddhismus & Mahāmudrā

Entwicklungen, wie der tibetische Buddhismus mit seiner Lehre des Mahāmudrā, Dzogchen, Chan (=Zen) und andere, einhergehend mit der Entwicklung des kaschmirischen Shivaismus und, später, dem Tantrismus, haben zu einer wechselseitigen Durchdringung und Beeinflussung tantrischer und buddhistischer Denksysteme und Pfade der Spiritualität geführt. Der tibetische Buddhismus entwickelte sich maßgeblich aus dem kaschmirischen Tantrismus heraus, man könnte vielleicht auch sagen, der kaschmirische Tantrismus transformierte sich entlang der Seidenstraße hin zum tibetischen Buddhismus (, und von dort ostwärts weiter zum Chan).

Mahāmudrā (die "große Geste") besagt, das wir bereits erleuchtet sind und da sind, wo wir sein wollen. Wir können nichts dafür tun, außer uns auf die Wirklichkeit zu besinnen und uns dafür zu interessieren (s. z.B. auch Osho: "Tantra - die höchste Einsicht").

Tantra wird heutzutage meist als eine Art Lifestyle-Erotikwellness mit Persönlichkeitsentwicklung aufgefasst oder missverstanden oder auch mit Massagepraktiken gleichgesetzt, was den Begehrlichkeiten unserer nach Intimität hungernden Gesellschaft oder auch dem Credo des Neotantra geschuldet sein mag. Das wenigste, was heute unter dem Begriff "Tantra" firmiert, hat etwas mit Tantra im ursprünglichen Sinne oder mit nondualer Spiritualität zu tun. Dennoch kann es auch als Ausdruck eines tief in uns Menschen angelegten Interesses an Verbundenheit und Intimität verstanden werden, das allzu schnell von eher kommerziellen Interessen instrumentalisiert werden kann, die am Ende jedoch nur in eine illusionäre Leere führen. Doch auch im Neotantra gibt es integre Lehrer*innen mit wahrhaftem Interesse an der Wirklichkeit unserer Wesensnatur, die mitunter manchen Schritt des Weges auf wundervolle Weise begleiten.

Vertiefende Schriften zum nondualen Tantra finden sich z.B. bei Christopher Wallis, Bettina Bäumer, Mark Dyczkowski u.a.. Am Ende ist letztlich alles Gegenstand von Tantra, insofern die "höchste Nondualität" auch die Dualität und die Illusion von der Abkehr von der Dualität umfasst. Auch das besagt Mahāmudrā.

Nonduale Spiritualität - Tantra und Ein Kurs in Wundern

Ähnlich dem Tantra integriert "Ein Kurs in Wundern" zwanglos alles zuvor beschriebene. Der Kurs ist zum Selbststudium angelegt und es ist unmöglich, religiöse Institutionen darauf zu gründen. Dennoch scheint es immer wieder jene zu geben, die es trotzdem versuchen. Der Kurs wird gern angefeindet von jenen, denen das Konzept "Schuld" heilig ist und die weiterhin auf einer Dualität zwischen Gott und seiner Schöpfung beharren. Es ist unwahrscheinlich, dass jemand, der / die den Kurs in Wundern absolviert hat, zu dieser Auffassung tendiert. Insofern verharren Aussagen über den Kurs letztlich im Glauben und in der Anhaftung an irgendwie liebgewonnene Vorstellungen.

Im tantrischen Shivaismus heißt es, Śiva habe die Welt, das Universum (die Śakti) aus sich selbst heraus erschaffen, um sich darin zu verlieren. Dieser Śakti, also allem Belebten und Unbelebten und auch allem Geistigen wohnt daher sein Schöpfer inne. Er habe dies aus Freude daran getan, sich wieder zu finden. Deshalb begehrt alles nach Liebe, Verbundenheit und Ausdehnung (kosmologisch betrachtet, drückt sich dies auch in der Entropie aus). Der Kurs sagt es mit anderen Worten: "Gott hat seine Vaterschaft mit uns geteilt". 

Pfade der Spiritualität - gemeinsame Perspektive

Alle leidvollen Prozesse ranken sich letztendlich um die Identifikation mit dem Körper. Um Angst oder Trauer um seine Vergänglichkeit, Besorgnis um seine Gesundheit oder sein Kranksein, seine Schönheit oder Hässlichkeit, sein Geliebt-Werden oder auch nicht, um all die Erfahrungen, die in der Welt mit dem Körper gemacht werden können. Um die Bedeutsamkeit des Ich zu feiern, seine Größe, seine Überlegenheit, seine Bescheidenheit, sein Märtyrertum, seine Tragik, um Macht über andere Egos zu erlangen durch Angriff auf deren Körper oder um die Besonderheit des Opferstatus, wenn es darum geht, sich anderen Körpern unterwerfen zu müssen etc.. Und um eine schier unendliche Zahl von Konzepten, die Auswege daraus postulieren, und die sich gleichzeitig scheinbar in einer Art Fluchtbewegung in Richtung Komplexität befinden, in der Annahme, auf diese Weise die Deutungshoheit über Wahrheit und Erleuchtung finden zu können. Und vielleicht sogar auch, um einer "reduktionistischen" Festlegung zu entgehen (zu finden vor allem in postmodernen Erkenntnisansätzen, s. Ken Wilber u.a.), ohne jedoch in irgendeiner Weise an der Körpergebundenheit dieser expansiven Konzepte rühren zu können. 

Auch aus Sicht der Grundlagenwissenschaften hat sich Nietzsche's Materialismus mittlerweile überlebt und die Physiker gehen eher davon aus, dass wir aus Wellen bestehen. "Quarks & Co" schaffen die Illusion der Materie. Während aus Sicht des Buddha-Dharma der Körper als eine Formation von Elementen betrachtet wird, die durch eine Konstellation von Bedingungen entsteht, und deren konstituierende Merkmale der Wandel (Annica) und die Wesenlosigkeit bzw. "Leerheit" (Anatta) sind, wird der Körper (und damit auch die sinnlich erfahrbare "Welt") im Tantra als "Tempel" der Wirklichkeit oder des transpersonellen Seins, und im Kurs wiederum eher als ein Kommunikationsmittel - und darüber hinaus als bedeutungslose Illusion innerhalb einer ebenso illusionären Welt - verstanden. Wenn man sich eingehender mit diesen unterschiedlichen Blickwinkeln auseinandersetzt, könnte deutlich werden, dass sie sich in Bezug auf die Wahrheit "dahinter" nicht wirklich widersprechen. Es sind verschiedene Pfade der Spiritualität, die der Absicht der Bewusstheit entspringen mögen, sich sich selbst zu kommunizieren. Sie nehmen in scheinbar  unterschiedlicher Weise die Freiheit, das Glück und die Liebe in den Blick. Es ist eben nicht so, dass "alle Pfade zum selben Ziel führen" (siehe hierzu auch C. Wallis: "Near Enemies of the Truth"). Kśemarāja hatte das Phänomen der Offenbarung unterschiedlicher Aspekte von "Wahrheit" durch die unterschiedlichen philosophischen und religiösen Denksysteme seiner Zeit bereits vor 1000 Jahren in Sutra 8 des Pratyabhijñahrdayam ausführlich kommentiert.

Im klassischen Tantra findet sich hierzu der Begriff "Vielheit in der Einheit". Im Sinne des Mahāmudrā geschieht all dies aus der Warte des Ozeans einschließlich aller Fische darin, die wir vielleicht glaubten zu sein.

Wie Ken Wilber es schon nahelegte: mache dir klar, wie du deine Erleuchtung interpretierst, denn davon wird sie beeinflusst sein. Versäume es jedoch nicht, einen spirituellen Weg zu gehen, ganz gleich, welcher es sein mag (s. K. Wilber: "Integrale Spiritualität"). Insofern Ken Wilber die Welt des wissenschaftlichen Empirismus in seinem 3. Quadranten zur Entität erhebt, sei an dieser Stelle auch auf einen spannenden Diskurs zwischen Grundlagenwissenschaft und Buddhismus verwiesen: Quantum und Lotos

Letztlich werden wir die Wahl, die wir in Bezug auf die Sicht auf die Wahrheit, Spiritualität, die Welt und das Leben treffen, selbst verantworten. Niemand wird Alimente für unser Ergebnis zahlen. Der Buddha betonte hierzu: "Glaube nicht, was ich dir sage, was irgend jemand dir sagt oder was irgendwo geschrieben steht. Finde es selbst heraus!" Im Tantra entspricht dies der ersten der  Niyamas (Mati), dem Hinterfragen und dem Ringen mit den Lehren, was dazu beiträgt, unsere Wirklichkeit 2. Ordnung (d.h., unser Denken über die Wahrheit/Wirklichkeit unserer Erfahrung) an unserer unmittelbaren Erfahrung ("Wirklichkeit 1. Ordnung") auszurichten, anstatt einen Glauben darüber mit Bedeutung aufzuladen.

Dirk Schirok