nonduale Tantra-Philosophie
Nonduales, kaschmirisches und klassisches Tantra sind weitgehend synonym verwendete Begriffe. Die nonduale Tantra-Philosophie umfasst die Dualität, die mit der Sprache und mit jeder Subjekt-Objekt-Beziehung beginnt. Sie geht intim mit der Wirklichkeit selbst. Und verharrt nicht im Streben nach etwas, das glücklich machen und Erfüllung bringen soll. Nonduales Tantra erinnert uns daran, dass wir selbst bereits das sind, wonach wir gesucht hatten. Und so beinhaltet es weit mehr, als Antworten auf Fragen nach einer erfüllenden Sexualität, Vorstellungen über Persönlichkeitsentwicklung, Mann und Frau, Erleuchtung oder anderes. Nonduales Tantra verharrt nicht in Vorstellungen und Konzepten.
Anders als in religiösen Denksystemen, wie z.B. dem Evangelikalismus oder dem Islam, spielt in der Tantra-Philosophie das "Glauben" keine herausgehobene Rolle. Glauben entsteht aus der Dualität, aus Projektionen und Bedeutungszuschreibungen und aus der Aufspaltung der Erfahrung in Objekt und Subjekt (Ich und Nicht-Ich, das Glaubende und das Geglaubte). Aus nondualer tantrischer Sicht kann Gott daher kein Gegenüber sein. Wenn wir sie oder ihn fürchten, dann fürchten wir uns vor uns selbst; genau genommen fürchten wir jedoch eine Geschichte, die wir projizieren. Wenn wir ihre oder seine Erlösung suchen, suchen wir sie in einer Geschichte, die wir unserer sozial konstruierten Wirklichkeit entlehnt oder, ähnlich dem Apostel Paulus, vielleicht sogar selbst erfunden haben. Was aber ist die Wirklichkeit jenseits des Glaubens?
Begriffsklärung "Tantra"
Was bedeutet eigentlich der Begriff? Das Sanskrit-Wort "Tantra" bedeutet eigentlich nichts weiter als "Lehre", "Theorie", ggf. "System" oder einfach "Buch" und bezieht sich auf Texte (sog. Tantras), die in Indien ab dem 6. Jh. n.Chr. erschienen sind und in den nachfolgenden Jahrhunderten in großer Zahl verfasst wurden. Jedes Tantra stellt ein eigenes, weitgehend vollständiges System der spirituellen Praxis dar. Praktizierende hätten also damals vielleicht einander gefragt: "welchem Tantra folgst du?"
Der Begriff "klassisches Tantra" bezeichnet den eigentlichen, überlieferten Wesenskern der Tantra-Philosophie. Weitgehend synonym werden hierfür auch Begriffe, wie "nonduales Śiva-Śakti-Tantra (NŚT)", "Śaiva-Tantra", "kaschmirischer Tantrismus" oder "kaschmirisches Tantra" verwendet. Letzteres, weil die großen Meister im Tal von Kaschmir seinerzeit maßgeblich zur Entwicklung der Tantra-Philosophie und Praxis des klassischen Tantra beigetragen haben (s. z.B. auch hier ->kaschmirischer Shivaismus).
Tantra-Philosophie und Ausdehnung
Wie kam es eigentlich zu dem heute in der Neotantra-Szene verbreiteten Narrativ des "Ausdehnens / Verwebens"? Im frühesten Sanskrit bedeutete Tantra "Webstuhl", auch finden sich später die Wurzeln "Atan" (ausbreiten, ausarbeiten, erweitern) und "Atra" (retten, schützen), was schnell auch zu dieser allgemeineren Interpretation geführt haben mag: Tantra ist ein Werkzeug (tra), welches der Ausdehnung (tan) von Weisheit (bzw. des Gewahrseins unserer göttlichen Wesensnatur) dient. "Ausdehnung" nach nicht-dualistischem Verständnis würde hier tatsächlich bedeuten, sich ausdehnen zu dem, was ist, was wir wirklich sind. Und hierzu dienen ja auch Praktiken (Upāyas), die Gott in ihrer/seiner kontrahierten Form des begrenzten und anhaftenden Ego ins Gewahrsein setzen sollen und in den Tantras beschrieben sind.
Sanskrit-Gelehrte würden jedoch darauf verweisen, dass das Sanskrit sich im Laufe der Jahrtausende verändert hat, und die Bedeutungen "Webstuhl" und "Ausdehnung" weiter in der Vergangenheit liegen. Die älteste bekannte Tempelinschrift von Begriffen wie "Tantra" und "Dakini" (erwachte tantrische Meisterinnen) stammen aus dem Jahr 423 n.Chr.. Zu Zeiten des aufkommenden Tantrismus ist also von der bereits weiter oben beschriebenen Bedeutung auszugehen, wobei ebenso anzunehmen ist, dass die alten Bedeutungen irgendwie noch als Konnotationen mitschwangen.
"Ausdehnen" und "verweben" entbehren dabei auch nicht einer gewissen Attraktivität, um das Wesen der nondualen Tantra-Philsophie zu beschreiben, vor allem wenn es um die Bewegung vom Urteilen hin zum immer-weiter-Differenzieren oder um das Loslassen der Selbstkonzepte zugunsten der zugrunde liegenden Wirklichkeit geht, die jedwede Erfahrung hervorbringt und beinhaltet (und damit auch jede Vorstellung von Begrenztheit).
Begrenzte Identität erzeugt Dualität
Wenn wir einen nondualen tantrischen Weg gehen, ahnen wir sehr schnell, dass unsere bisherigen Gewissheiten und Konzepte über uns selbst und die Welt, alle Glaubenssätze darüber und Anhaftungen daran uns nicht weit tragen. Genau genommen haben sie uns nie getragen, wir dachten es nur. Sie sind ein Provisorium, nicht mehr. Aus Sicht der Tantra-Philosophie sind es geistige Gebilde, dualistische Konzepte (Vikalpas), nicht die Wahrheit über die Wirklichkeit, die in der Welt der Dualität und der begrenzten Identitäten nicht erfahren werden kann. Oder, anders ausdrückt: Śiva (der formlose Grund) hat sich in eine Identifikation, in einen begrenzten Aussichtspunkt ihrer Bewusstheit hineinkontrahiert und musste dafür notwendigerweise alles andere von sich selbst ausblenden, denn andernfalls wäre eine Identität, die nicht alles umfasst, nicht möglich. Diese Kontraktion ermöglichte Śiva durch das Hervorbringen von Begrenzungen ("Schleier" bzw. "Rüstungen", die sog. kañcukas), wie begrenzte Wirksamkeit (kāla), begrenztes Wissen (vidyā), Leidenschaft (rasa), Zeit (kalā) und Kausalität (niyati). Und notwendigerweise verstrickt er/sie sich in das Ergebnis, welches auch "Dualität" genannt werden kann, die Welt der Objekte und der Subjekt-Objekt-Beziehungen.
Warum tut er/sie das? Aus Freude an der Erfahrung! Eine Erklärung Abhinavaguptas hierzu war: Śiva hat die Śakti (die Kräfte, das Universum, die Welt der Dualität) aus sich selbst hervorgebracht, um sich darin zu verlieren, aus reiner Freude daran, sich wiederzufinden. Letzteres kann auch verstanden werden als die Liebe, die das Verbindende begrüßt, die überall ist, alles umhüllt und durchdringt und letztlich - wie alles - alles ist.
Wenn wir dann also der Tantra-Philosophie folgen und weitergehen auf einem spirituellen Pfad, der Anhaftungen an Vorstellungen hinter sich lässt, stellen wir irgendwann fest, dass wir auch eine Art "Point of no Return" hinter uns gelassen haben und nicht länger in etwas zurückkehren können, das wir als etwas erkennen, das immer schon Illusion war, während wir gleichzeitig ahnen, daß es auch keinen Sinn macht, einen alten Glauben durch einen neuen zu ersetzen. Das Ich, identifiziert mit seinen Selbstkonzepten, versucht dann oft tapfer, sich an irgendetwas Belastbarem festzuhalten und ist da oft ausgesprochen hartnäckig und findig (es ist immerhin eine kontrahierte Form Gottes). Nichts von alledem ist am Ende jedoch überzeugend, wenn wir auf dem tantrischen Weg den Geschmack der Leichtigkeit und Freiheit gekostet - oder, genau genommen - uns daran erinnert haben, dass das, was gebunden war, nur als Geschichte existierte. Und dass es auch kein Selbst gibt, das unfrei sein könnte. Es müsste frei von sich selbst sein, doch dann wüsste es nicht von seiner Freiheit.
"Inneres Kind"
In gewisser Hinsicht ähnelt das Zurücklassen unserer Anhaftungen an Gewissheiten auch dem Zurückblicken auf unsere Familie und unsere kindliche Sozialisation beim Erwachsen-Werden. Wir bemerken, dass wir nicht mehr an den Weihnachtsmann glauben, und auch an vieles andere glauben wir nicht mehr, was einst Gewissheiten für uns waren. Wir erkennen, dass wir in Schule und Familie eine Art "Starter-Kit" mit auf den Weg bekommen haben, eine Erstausstattung zur ersten Orientierung für dieses Leben in einem Menschenkörper, für ein provisorisches Klarkommen in der sozial konstruierten Wirklichkeit, die gerade so-und-so ist. Und ab jetzt ist es an uns, was wir glauben wollen und letztlich für unser Leben verantworten müssen. Denn da ist niemand anderes, der/die die Deutungshoheit darüber hat. Dies ist übrigens einer der Gründe dafür, dass Tantraseminare immer wieder gern das "Innere Kind" thematisieren, denn hier kommen wir immer wieder in Kontakt mit tief in unserem Erlebnisapparat verankerten Prägungen bzw. tiefen Konditionierungen (Samskāras), die Urteile und Glaubenssätze über uns selbst, die Welt, das Leben und unsere Rollen darin nach sich zogen (Vikalpas). In dieser Hinsicht verfügt Tantra und verfügen Tantrakurse über ein enormes befreiendes und letztlich "therapeutisches" Potenzial, da diese Konditionierungen mit Hilfe verschiedenartiger tantrischer Praktiken nach und nach aufgelöst werden.
Anders jedoch, als Therapie, verfolgt die nonduale Tantra-Philosophie keine Teleologie im Sinne einer Heilungsintention. Denn es kann nicht geheilt werden, was bereits perfekt ist. Das, was anderswo "Heilung" genannt wird (im Sinne des Reparierens einer im Selbsterleben objektivierten Beschädigung oder im Sinne des Auffüllens eines erlebten Mangelzustandes) entspricht im nondualen Denken letztlich der Ausdehnung der Identifikation bis hin zur Identität des Śiva-Bewusstseins. Das, was anderswo - mit ein wenig Glück - vielleicht "Psychotherapie" genannt wird, geschieht im klassischen Tantrismus eher nebenbei durch das Ablegen einer Identifikation mit einer Geschichte (meist befasst Psychotherapie sich jedoch mit der Rekonfiguration unserer Glaubensvorstellungen über die Wirklichkeit und verfolgt die Fundierung des Glaubens an die dualistische Erfahrung der Individualität i.S. der sog. "Ich-Stärkung").
Tantra-Philosophie und andere spirituelle Denksysteme
Der Blick auf das Denken, auf die Konzepte und anderen geistigen Gebilde, unterscheidet sich in der klassischen Tantra-Philosophie nicht in jeder Hinsicht von der Perspektive anderer non-dualistischer Denksysteme, wie z.B. dem Buddhismus oder Patañjali's Ashtānga-Yoga ("die 8 Hilfen zum Yoga", wobei Patañjali "Yoga" als den Zielzustand der Stille des objektlosen Samādhi und nicht als eine Praxis verstand. Patañjali's Yoga ist nicht zu verwechseln mit dem Hatha-Yoga, welcher der tantrischen Tradition entspringt), zumindest nicht hinsichtlich ihrer illusionären Natur. Jedoch haften die meisten dieser spirituellen Denksysteme - abgesehen von wenigen, wie dem tibetischen Buddhismus - der Vorstellung an, dass weltliche Begierden überwunden werden müssten, um den Geist zu befreien. Weil, wie uns früher oder später auffällt, das Begehren nur zu leidvollen Verstrickungen und zu Beunruhigung des Geistes führt, und weil kein ideelles oder materielles Phänomen uns glücklich machen kann (aus buddhistischer Sicht z.B. die "Leerheit" {anatta} und die unbefriedigende Natur der Dinge {dukkha} aufgrund ihrer Vergänglichkeit {annica}). Deshalb wird der Körper in diesen Denksystemen gering geschätzt bzw. als illusionär betrachtet, weshalb es hier gilt, ihn zu "transzendieren". Ein weiteres Beispiel für diesen Transzendentalismus ist die Lehre Ramana Mahārśi's, dem wohl bekanntesten Lehrer des Advaita Vedanta, der Mitte des 20. Jh. an einem Plasmozytom verstarb, das er nicht behandeln ließ, weil er dem Körper keinerlei Bedeutung beimaß, während er Befreiung in der Erforschung der Frage "wer bin ich?" fand. Früher Buddhismus und Vedanta zeichnen sich dadurch aus, dass der "Zielzustand" der Verwirklichung der spirituellen Praxis adynamisch ist, d.h. es ist ein Ruhen im Angesicht des ewigen Urgrunds des Seins in einer Art Zeugenbewusstsein, das auf die unbefeuerten Objekte des Gewahrseins (eine Übersetzung von Nirvana bzw. Nibbana ist "kein Feuer") im ewigen Kreislauf des Werdens und Vergehens schaut. Im Tantra hingegen werden Wollen und Handeln (Icchā-Śakti und Kriyā-Śakti) als dem Bewusstsein selbst innewohnende Qualitäten verstanden, die in der Welt (Maya, Samsara) ihren Ausdruck finden, ihren "Ort", der die grenzenlose Raumzeit ist, jedoch niemals verlassen.
Mit Blick auf die Entwicklung der kaschmirischen Tantra-Philosophie mag es vielleicht interessant sein, zu berücksichtigen, dass der Buddha und Patañjali etwa zur selben Zeit lebten, zu einer Zeit, die sehr atheistisch geprägt war. Und man könnte es so verstehen, dass beide jeweils Gegenentwürfe zu dem in der damaligen indischen Gesellschaft institutionalisierten Verständnis von Spiritualität lieferten. Beide entwarfen auch einen 8-fachen Pfad der Befreiung bzw. des Erwachens (bzw. zu dem, was sie jeweils darunter verstanden), wobei Patañjali's Lehre von derjenigen Buddha's inspiriert war. Yāmas und niyāmas (Tugenden bzw. Art der Lebensführung, um den Yoga zu ermöglichen), asāna (übrigens nur 1 einfache Körperposition im klassischen Yoga!), pranayāma (Kultivierung der Bewusstheit des Atems), patyahāra (Sammlung), dharāna (Konzentration), dhyāna (Meditation auf den Atem als Objekt mit sanfter Anstrengung) und samādhi (Gewahrsein des Objekts ohne jegliche Anstrengung) führen zu Yoga, dem Ziel (Gewahrsein ohne Objekt, auch nirodha genannt; hier finden sich auch Analogien zu den Vertiefungsstadien der buddhistischen Jhāna-Meditation).
Diese transzendentalistische Erkundung und Erfahrung des Geistigen war für die alten Tantriker durchaus interessant, jedoch erkannten sie auch, dass sie nicht alle Aspekte unseres Daseins umfassen kann. Dies, und die aufkommende und durch die Bhagavad Gītā inspirierte Krishna-Bewegung lenkte den Fokus auf die Entwicklung einer Spiritualität für das Leben "in der Welt", was - zusammen mit dem aufkommenden Shivaismus letztlich die klassische nonduale Tantra-Philosophie begründete.
Spiritualität beruhte seinerzeit weitgehend auf den ritualisierten Rezitationen der Veden durch brahmanische Priester, die damit - wohl ähnlich der Ablasspraxis im Katholizismus oder auch der schuldhaften Bußfertigkeit und begeisterten Suche der heutigen Evangelikalen nach einer Verantwortlichkeit außerhalb ihrer selbst - für ein sozialhygienisches Instrument sorgten, welches Karl Marx vielleicht "Opium für das Volk" genannt hätte. Für den Buddha spiegelte sich letzteres in der "Verlogenheit" des höfischen Lebens seiner dysfunktionalen Familie (s. auch: C. Titmuss: "The explicit Buddha") wider, die er deshalb verließ (und damit sogar auch seinen neugeborenen Sohn Rahula), um letztlich alles weltliche und auch spirituelle Begehren (nach aller Anstrengung, mit der er sich 6 Jahre lang vollkommen der spirituellen Disziplin und der Askese gewidmet hatte - mit dem Ziel, das Weltliche zu überwinden und "Befreiung" zu finden) als leidvoll zu betrachten. Der Frieden des Nirvana fand sich für den Buddha somit jenseits des Begehrens. Er analysierte und dekonstruierte das Ich und die Wirklichkeit in 5 Daseinsaggregate und hatte keineswegs ein "höheres Selbst" im Sinn. Er war nur am Erwachen in der Wirklichkeit selbst interessiert. Patañjali hingegen suchte - ähnlich den Lehrern des Buddha - die Befreiung in der yogischen Disziplin mit dem Ziel, in das von jeglicher Aktivität des Körper-Geistes ungefilterte Gewahrsein der Wirklichkeit ("Yoga") zu gelangen, welches als ein "höheres" bzw. einzig wahres Bewusstsein verstanden wurde. Dieses "wahre Bewusstsein" wird aus tantrischer Sicht als eine Art adynamisches Zeugenbewusstsein verstanden.
Auch wenn der Tantrismus in großem Maße die Philosophie und die Praktiken Buddhas und Patañjali's assimiliert hatte, hat die Tantra-Philosophie dennoch einen grundlegend anderen Blick auf die Wirklichkeit. Körper und Geist sind hier immanenter Ausdruck eben dieser Wirklichkeit. Beide sind auch Ausdruck eines Kontinuums, wobei der Körper die "fassbarste" Ausprägung des Geistes und der Geist die subtilste Manifestation des Körpers ist. Das Begehren, das sich oft um die kontrahierte Identifikation mit dem Körper und / oder Aspekte seines Wirkens in der Welt rankt, wird dabei als ein natürlicher Ausdruck unserer Wesensnatur angesehen. Tantra ist deshalb weder tranzendentalistisch, noch entsagungsvoll. Auch die leidvollen Erfahrungen, die entstehen, wenn aus dem Begehren ein Greifen nach etwas wird, werden in der Tantra-Philosophie als Ausdruck des Wirklichen anerkannt. Letztlich geht es im Tantra um das Gewahrsein der verkörperlichten Seele (Jīvanmukti).
Auch die 25 Tattvas ("Grundprinzipien der Wirklichkeit"), die Patañjali formuliert und aus der - dem Vedanta zugrundeliegenden - dualistischen Samkhya-Philosophie entlehnt hatte, schienen den alten Tantrikern nicht ausreichend zu sein: Sie haben weitere 11 Tattvas definiert (in der Tantra-Philosophie sind es daher insgesamt 36 Tattvas), welche die Aspekte des Geistigen weiter ausdifferenzieren. Und - anders als im Patañjali-Yoga - beginnt die Aufzählung mit dem Erdelement, welches als einziges auch alle anderen Prinzipien der Wirklichkeit repräsentieren kann.
Näheres hierzu findest du auch unter tantrailluminated.org und in Christopher Wallis Werk "Licht auf Tantra".
Am Ende wird uns klar, dass es müßig ist, nach etwas zu greifen, was wir selbst sind. Oder, anders ausgedrückt: Gott hat keine Mühen gescheut, um genau das zu sein, was Du bist (genau genommen, erfreut sie sich ihrer Kreativität, dies zu tun). Um sich in diese Identität hinein zu kontrahieren, die Du bist, musste Gott alles andere Identifiziert-Sein mit was oder wem auch immer ausblenden. Alles in, mit und um uns ist also nichts anderes, als ein Ausdruck des Göttlichen. Es gibt nichts anderes. Dies spiegelt sich auch wieder in der im Tantra viel weiter gefassten indischen Grußgeste (añjali mudrā) "Namasté": "Ich ehre (bzw. grüße) das Göttliche in Dir in mir" (oder verneige mich davor).
Weitere Hintergrundtexte zu Tantra-Philosophie und Tantra Yoga-Praxis:
Tantra, ein Kurs in Wundern, Dharma & Mahamudra
Hsing Ming – Der Gesang vom Herz/Geist
Tantra, Sex, die Künste und das Leben
weiterführende Literaturempfehlungen zu Tantra-Philosophie, Neotantra und Spiritualität:
(für Rezensionen den jeweiligen Link klicken)
C. Wallis: "Licht auf Tantra. Die Philosophie hinter dem modernen Yoga:" 2023
C. Wallis: "Near Enemies of the Truth", 2023
C. Wallis: "The Recognition Sutras", 2017
M. Dyczkowski: "Die Schwingung des Bewusstseins", 1987. Dt. Übersetzung 2023
S. Harris: "Erwachen", 2018, Edition Spuren
B. Bäumer: "Vijñāna Bhairava - Das göttliche Bewusstsein", 7. Aufl. 2023
C. Titmuss: "The Buddha of Love. Essays on the Power of the Heart", 2015, lulu.com
C. Titmuss: "The explicit Buddha", 2017
M. Ricard, T.X. Thuan: "Quantum und Lotos: Vom Urknall zur Erleuchtung", 2008
K. Wilber: "Integrale Spiritualität", 2007
D. Odier: "Tantra Yoga. Der Weg zur höchsten Erkenntnis.", 2017, Theseus
D. Odier: "Das entflammte Herz", 2020, Aquamarin