Die 3 Malas - 3 Formen der Unwissenheit

In der Trika-Schule des kaschmirischen Shivaismus werden die 3 Malas als Formen der Unwissenheit angesehen, die das Bewusstsein freiwillig angenommen hat, um ein begrenztes Individuum sein zu können. Sie werden insofern nicht wirklich als "Makel" oder "Unreinheiten" betrachtet, wie die Sanskrit-Übersetzung es nahelegt. Sie konstituieren lediglich diese Begrenztheit und können jederzeit aufgegeben werden.

Die erste und grundlegendste der drei ist āñavamala, die "Unreinheit durch Individualität", die zweite ist māyīyamala, die "Unreinheit durch Abgrenzung und die dritte ist kārmamala, die "Unreinheit durch Handlung".

Āñavamala 

Ohne āñavamala, die begrenzte Vorstellung von Individualität, können die beiden anderen Malas nicht entstehen. Sie ist die elementarste Form der Unwissenheit und besteht aus der tiefen und unbewussten Überzeugung, unvollständig und unvollkommen zu sein. Sie prägt all unser Denken und Wahrnehmen und ist eine tief verwurzelte Art, die Realität aus dem Blickwinkel des individuellen Wesens zu betrachten.

Āñavamala ist die Hauptursache unseres Leidens, denn die Annahme, von Gott getrennt und unvollkommen zu sein erlaubt uns nicht, Zugang zum universellen Bewusstsein zu haben. Āñavamala ist kein mentales Konstrukt, welches durch Sozialisierung entstanden ist und hat nichts mit Glauben zu tun. Es ist der begrenzte Sinn für Individualität, der dualistisches Denken überhaupt erst ermöglicht und den jede/r von uns hat.

Die Fehlwahrnehmung von Begrenztheit und das hiermit einhergehende Leiden ist gleichzeitig Ausgangspunkt für einen inneren Suchprozess, der über die Erfüllung weltlicher Bedürfnisse hinausreicht und eine spirituelle Praxis der Ausdehnung hin zu unserem natürlichen Zustand der Fülle begründet.

Erst eine profunde Offenbarung (śaktipāta, übersetzt als "Gewähren von Gnade", mitunter auch als "tantrisches Erwachen" verstanden) führt hier jedoch zu einem inneren Paradigmenwechsel. Śaktipāta beschreibt den Moment, in dem eine verkörperte Seele beginnt, sich ihrer eigenen Expansion zuzuwenden und die Phase der Kontraktion (zu einem individuellen Selbst) hinter sich zu lassen. 

Māyīyamala

Māyīyamala, der Makel durch Abgrenzung, bringt uns dazu, uns von allen anderen Wesen und von dem, was wir wahrnehmen, getrennt zu fühlen. Der zugrundliegende Prozess ist die Subjekt-Objekt-Differenzierung. Hierdurch wird die Welt entweder als bedrohlich oder aber als Quelle einer Bedürfnisbefriedigung (d.h. des Ausgleichs eines angenommenen Mangels) erlebt.

Wahres Sehen bedeutet hingegen, alle Wesen in sich selbst und sich selbst in allen Wesen zu sehen. Māyīyamala sieht nur die vereinzelten Inseln über dem Meeresspiegel, das wahre Sehen erkennt, dass alles ein und dieselbe Landmasse ist. Wir erkennen, dass der Andere nicht anders ist als wir selbst, nur mit anderen Konditionierungen und Lebensumständen. Durch māyīyamala hindurchsehen bedeutet, den Anderen als Spiegel für dich selbst zu erfahren.

Wichtig ist mit Blick auf māyīyamala zu berücksichtigen, dass Abgrenzung und Differenzierung zwei voneinander verschiedene Prozesse sind. Differenzierung ermöglicht, den vielfältigen Ausdruck der Schöpfung zu erfahren und zu würdigen.

Kārmamala

Kārmamala, der "Makel durch Handlung", beschreibt eine Quelle der Unwissenheit, die durch Verstrickung durch willentliches Handeln entsteht, welches durch Unwissenheit, Nicht-haben-Wollen oder Haben-und-behalten-Wollen motiviert ist. Ganz im Sinne Buddha's erster Wahrheit der Edlen haben Handlungen aus einer solchen Haltung heraus leiderzeugende, karmische Auswirkungen.

Anhaftung (raga) und Abneigung (dvesha) sind die Grundlagen dieser Unwissenheit und postulieren jeweils einen Mangel, der beseitigt werden muss, um erfüllt zu sein.

Nur Handlungen, die spontan als Ausdruck unserer wahren Natur ohne persönliches Motiv von Gewinn oder Verlust entstehen, haben keine karmischen Auswirkungen.

Aufgrund der Komplexität karmischer Verstrickungen und der Unmöglichkeit, sich von allen karmischen Spuren in seinem Wesen zu heilen, besteht aus tantrischer Sicht nur eine praktikable Lösung, sich von Karma zu befreien:

Indem man aufhört, die Person zu sein, auf die diese Karmas zutreffen. Dies führt unmittelbar zur Notwendigkeit der Überwindung der grundlegenden "Unreinheit" āñavamala. 

Die Botschaft lautet hier also: Kümmere dich nicht um Karma. Konzentriere dich auf die grundlegenden Malas, und Karma wird sich um sich selbst kümmern.